Livin‘ La Vida Loca – Mainz 05 zwischen Life-Coaching und Lebenskrise

Bo Henriksen vertraut weiter auf emotionale Führung, doch Mainz 05 droht spielerisch zu stagnieren, meint Jan Budde. Was als Erfolgsrezept begann, offenbart nun taktische Lücken: fehlende Lösungen mit Ball, wenig Mut zu Kreativität und Anpassung. Eine Kolumne über das Spannungsfeld zwischen Coaching, Charakter und Entwicklung.

Es ist so verführerisch, weil so einfach: Ein Life-Coaching, ein bisschen Handauflegen, ein paar zitierfähige Sätze und zack wird die Lebenskrise zur Startrampe für den eigenen Erfolg. „Football is life“ wusste schon der dribbelnde Stürmerstar Dani Rojas aus der Serie „Ted Lasso“. Doch er lernte schnell einen Zusatz: „Football is life – but also death“. Fußball ist Leben, aber auch der Tod.

Bo Henriksen, der Life-Coach vom Rhein, hängt hingegen in seinen Erfolgsmustern der vergangenen Spielzeiten fest und wehrt sich gegen jede Art von Erkenntnis: Mainz 05 hat kein Problem, „das ist alles nur in deinem Kopf“ um einen weiteren Fußballphilosophen, den Heile-Weltmeister-Sänger, Andreas Bourani, zu bemühen.

Es ist auch verständlich. Bo Henriksen hat teilweise begeisternden Fußball spielen lassen. Er hat mit seinem Ansatz, die Spieler durch Eigenverantwortung zu beteiligen, eine intakte und resiliente Mannschaft entwickelt. Aber jetzt steht Henriksen vor einer Aufgabe, an der schon andere Trainer in Mainz gescheitert sind: dem Spiel mit Ball.

Das Problem ist, Mainz 05 agiert im Spiel traditionell aus der Rolle eines Underdogs. Nach der vergangenen Saison war aber klar, dass die Gegner in der Bundesliga die 05er vermehrt im tiefen Block erwarten werden. Leipzig hatte es vergangene Saison bereits vorgemacht. Darauf wurde sich in der Sommerpause nicht adäquat vorbereitet.

Bei 05 wirken die Verantwortlichen von dieser Entwicklung eher überrascht. Im Sommer wurde nicht dementsprechend eingekauft und spielerisch kein Plan B entwickelt. Dabei war die Tatsache, dass sich die Mannschaft extrem schwertut, Rückstände zu drehen, auch schon letzte Saison bekannt. Entwickelt eine Mannschaft, die sich mit Offensivaktionen im eigenen Ballbesitz schwertut, eine Konteranfälligkeit und läuft konsequent Rückständen hinterher, ist „Fußball auch der Tod“.

Kurz gesagt: Im Zuge einer ritualisierten Selbstverzwergung wurde im falschen Regal eingekauft. Überrascht von der eigenen Entwicklung war man plötzlich Top-Club. Gegner passen sich an, Spieler werden teurer – das Luxus-Leben hat seinen Preis. Mainz 05 ist in Jogginghose auf einem Gala-Event aufgeschlagen. Das ist authentisch und sympathisch, aber leider unpassend.

Spielerisch fehlt es an Lösungen im letzten Drittel. Wieder einmal sitzen Kreativspieler bei Mainz 05 auf der Bank und dürfen nicht spielen. Das hat eine große Tradition bei Mainz 05. Von Krkić unter Schmidt bis Gruda und Fulgini unter Svensson.

Man kann nur hoffen, dass Böving und Nordin schneller mehr Einsatzzeiten bekommen als Paul Nebel und Brajan Gruda vor ihnen. Sowohl das Tempo als auch die Ballsicherheit, die Kreativität, die Abschlussfähigkeiten und ihre Assists werden dringend benötigt. Denn wir sind an einem Punkt, an dem die Leistungen verlässlicher Offensivspieler wie Paul Nebel einbrechen.

Unverständlich erscheint dann, wieso Henriksen diese Spieler öffentlich anzählt und auf Spieler wie Lee setzt, die das Vertrauen über einen langen Zeitraum nicht zurückzahlen. Es hat den Anschein, dass Henriksens emotionaler Ansatz wesentlich stärker durch taktische und leistungsorientierte Überlegungen ergänzt werden muss. Es braucht also vor allem eine Entwicklung beim Trainer. Mehr Mut, auch mal harte Entscheidungen zu treffen. Eine Abkehr von den gewohnten 11 scheint ein vielversprechender Weg zu sein. Und Henriksen rotiert bereits viel, nur in den entscheidenden Momenten wirkt es, als würde er sich dann doch nicht trauen.

Die Mannschaft will, die Mannschaft ist intakt – das ist das Wichtigste und ein großer Verdienst des Trainers. Anders lässt sich ein Spieler wie Caci auch nicht halten. Deswegen ist Henriksen auch nicht angezählt – aber sollten Henriksen und sein Team den nächsten Entwicklungsschritt nicht bald gehen, könnte das Kapitel schneller vorbei sein, als es allen lieb ist.

Denn wer immer das Gleiche tut, aber auf einen anderen Ausgang hofft, ist verrückt. So ein Life-Coach is livin‘ la vida loca. Das Motto für das Trainerteam ist klar: Hand anlegen, statt Hand auflegen.

2 Kommentare

Sehr gute Einschätzung und ich teile die Sichtweise zu
100 %.

Als ich gestern Maloney in der Startelf entdeckte, war mein erster Gedanke „oh, eine Doppel-Sechs mit Maloney und Sano und einem Amiri auf der 10“.

Falsch gedacht, denn Bo ändert nichts. Sein 5-4-1 ist ihm heilig. Ob es der Kader hergibt oder nicht … egal! Fast schon dogmatisch steht die Formation und irgendwie werden Spieler da reingepresst (Hollerbach auf der 9, Widmer auf links, Maloney als zentraler IV)

Lieber Jan, Da sprichst du mir aus der Seele. Da sitzt man vorm Fernseher oder steht im Stadion und sieht Flanke über Flanke. Nordin, der auch in dee Vorbereitung stark war, wird kaum berücksichtigt. Wenn gegen Bremen nicht Mut an der Aufstellung bewiesen wird, raste ich aus. Ich hoffe Henriksen hat mal von der Tribüne aus gesehen, was fehlt…

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