659 Tage Energiefußball

13. Februar 2024. Ich erinnere mich noch gut an diesen Dienstag nach Rosenmontag, an dem der selbst ernannte „Old Fucking Bastard“ ein ganzes Vereinsumfeld und mich als Journalisten mit seinem dunkelblauen Seidenanzug auf dem Podium des Mewa Arena begann, anzuzünden. Nach der flammenden 45-minütigen Antritts-Pressekonferenz suchten selbst meine Kollegen und ich zwischen Laptop und Notizzettel förmlich nach Fußballschuhen, um für diesen Mann aufzulaufen. Bo Henriksen wirkte wie ein Zauberer.

659 Tage später ist die Mainzer Bo-Magie endgültig erloschen. Drei Tage nach dem Debakel von Freiburg muss Bo 2.0 nun gehen. Ja, das Ende war absehbar. Und ja, es ist sinnvoll. Aber die Art und Weise, wie Mainz 05 sich von Bo Henriksen getrennt hat, ist eine Farce.

Der Klassenerhalts-Messias und Europapokal-Dirigent hat in kürzester Zeit in Rheinhessen Großes geleistet. Bo Henriksen sei Dank, dass das Team und die Fans wieder eine gemeinsame Identität herstellen konnten. Dass das 1:0 gefühlt schon eine Stunde vor Anpfiff bei seinem Jubellauf in die Kurve frenetisch bejubelt wurde. Dass Mainz 05 wieder deutsche Nationalspieler stellt. Und der Club kurz vor dem erstmaligen Einzug in ein Europapokal-Achtelfinale steht.

So groß die Verdienste sind, so fest wurden sie in den vergangenen fast 72 Stunden von den Clubverantwortlichen mit Füßen getreten. Nach dem ausbleibenden Bekenntnis am Sonntagabend wäre die Trennung am Montag, spätestens am Dienstag, die logische wie branchenübliche Folge gewesen. Doch der Verein machte daraus eine unwürdige Hängepartie und übte sich in der Mainz-05-typischen Nicht-Kommunikation. Interimstrainer Benjamin Hoffmann wäre auch schon am Montag startklar gewesen. Der Verdacht liegt nahe, dass die Verhandlungen mit einem externen Nachfolger ins Leere liefen.

Sei es drum, die unrühmlichen Umstände ändern nichts daran, dass die Trennung folgerichtig ist. Und sie zeigt, dass im Fußball nichts für die Ewigkeit ist.

Der Mainz-05-Tanker steckt fest in der Sackgasse. Sowohl Bo Henriksen als auch die Club-Verantwortlichen haben in den Zeiten des Erfolgs Fehler gemacht. Der desaströse Transfersommer, über den bereits ausgiebigst berichtet wurde, geht auf die Kappe der Sportlichen Leitung. Die Offensivmisere ist sicherlich auch ein Versagen der Spieler, aber vor allem zu gleichen Teilen Henriksens und der Sportlichen Leitung. Es war sicherlich keine vermessene Idee, nach Nelson Weipers Leistungen bei der U21-EM auf ihn als Erben Jonathan Burkardts zu setzen. Aber mit der öffentlichen Demontage in der Vertragscausa haben Christian Heidel & Co. dem Youngster genauso geschadet wie der seit Tag eins überkritische Umgang Henriksens mit dem sensiblen Talent. So wie der Fußball gestrickt ist dürfte „Nelly“ am Freitag gegen Gladbach unter seinem Großförderer Benjamin Hoffmann wieder gesetzt sein und mit einem Doppelpack gegen Gladbach Grüße Richtung Henriksen und Co. heraussenden. Remember my words.

Doch Henriksen und sein Trainerteam müssen sich nicht nur den fragwürdigen Umgang mit Nelson Weiper vorwerfen lassen. Wirkungsloses, teils nicht vorhandenes In-Game-Coaching, weitestgehendes Ignorieren der zweiten Reihe, mangelnde taktische Flexibilität und zu viele Vorschusslorbeeren für formlose Ex-Leistungsträger ergänzen die Mängelliste, an der sich sein Nachfolger nun abarbeiten muss.

Und dabei wären wir beim wichtigsten, weil zukunftsentscheidendsten Punkt angelangt: die Trainersuche.

Mainz 05 muss wieder anders denken. Klar braucht es wieder einen Retter, aber derzeit ist die Tabellensituation noch viel komfortabler als zu den Zeitpunkten, als Svensson und als Henriksen übernahmen. Die Konkurrenz ist nicht enteilt.

Es braucht nun einen Trainer, der nicht nur Mainz-05-Powerfußball spielen lässt. Sondern einen Coach samt Staff, der taktisch variabler agiert. Über Einwechslungen und systemische Anpassungen Dynamiken verändern kann. Über ein kluges Game-Management kommt. Eine Art hat, die sich nicht nur auf Energie beschränkt, die irgendwann bei Vollbelastung droht, erschöpft zu sein. Daran sind nun nach erfolgreichen Rettungsmissionen sowohl Svensson als auch Henriksen gescheitert.

Mainz 05 wird immer ein Verein bleiben, der Wettbewerbsnachteile durch eine kreative und innovative Art kompensieren muss. Die 05-DNA ist ein Mittel, das wirksam sein kann. Aber nicht auf lange Zeit. Und nicht alleine. Darüber hinaus braucht es mehr. Wie damals unter Thomas Tuchel. Der Welttrainer ist natürlich ein hochgestochenes Beispiel, aber es sollte Anregung genug sein, dass der Verein in Persona von Boss Christian Heidel endlich aufhören sollte, sich kleiner zu machen, als er ist. Anfangen, eine starke Identität aufzubauen, auf dem Fundament der 05-DNA – verfeinert um fußballmoderne und avantgardistische Elemente. Einen Schritt weiter sein als der Gegner. Und dass nicht nur durch bedingungslosen Energiefußball. Mainz 05 kann mehr!

Was nun hochtrabend klingt, schaffen vermeintliche „No-Name-Trainer“ wie Lukas Kwasniok in Köln oder Ralf Kettemann in Paderborn. Sie werden nicht die Nachfolger Henriksens, aber das Trainerprofil des nächsten 05-Coaches muss mehr als das des energetischen Power-Fußballtrainers beinhalten, damit der Verein sich nicht selbst abschafft. Und raus aus diesem Kreislauf kommt, alle 1,5 bis 2 Jahre seine „Energizer“ auszutauschen, um das nächste Energiebündel an die Seitenlinie zu stellen. Die Zeit ist reif, und noch lange nicht abgelaufen.

1 Kommentar

Volle Zustimmung, zu 100 Prozent. Ich würde mir Kontinuität wünschen mit einem Trainer, der auch mal ein paar Jahre bleibt und zu einer langfristigen Identifikationsfigur wird, auch weil er Nachwuchsspieler an die Mannschaft heranführen kann, ohne sie zu demoralisieren. So wie Christian Streich in Freiburg. So ein bisschen habe ich die Hoffnung, dass das mit Benny Hoffmann funktionieren könnte.

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